Rausch

Am 25.Mai eröffnet im Kunstverein Recklinghausen in Zusammenarbeit mit der Galerie EIGEN+ART meine Einzelausstellung RAUSCH,  in der ich aktuelle Arbeiten sowie Arbeiten aus dem Bestand zeige. In diesem Blog möchte ich euch eine Übersicht über die ausgestellten Arbeiten geben.

 

Detail aus Land of Plenty, 2016, Tusche auf Papier, 290 x 133 cm

 

Seit Jahrtausenden sind Menschen immer wieder fasziniert davon, ihre gewohnten Pfade zu verlassen, um sich der höheren Macht des Rausches hinzugeben. Rausch im Sinne von Ekstase bedeutet übermäßige Begeisterung, Verzückung und kennzeichnet einen Ausnahmezustand des Seelenlebens, der auf übernatürliche Ursachen zurückgeführt wird. So kann ein ekstatischer Zustand einerseits als Eskapismus betrachtet werden, als ein Mittel, um der Welt zu entfliehen. Ebenso ist es möglich, sich im ekstatischen Rausch auf besondere Art mit der Welt zu verbinden, beispielsweise in Form eines rituelles Kults, um neue Visionen und Erkenntnisse zu erlangen oder um Kontakt mit Göttern und Ahnen aufzunehmen. Ekstase kann als Fest erlebt werden, um einen freudigen Anlass zu begehen, im Schaffensrausch, als Liebesrausch oder als Kampfesrausch. Der Zustand des Rauschs ist ein Zustand des Flows, er stellt eine besondere Entrücktheit von der gewohnten Realität dar. Ein Zustand, den auch Tiere faszinierend finden, denn wie man bei Affen beobachtete, geben sie sich breitwillig dem Alkoholrausch vergorener Früchte hin.

 

Detail aus Land of Plenty, 2016, Tusche auf Papier

 

Darauf bezugnehmend sind in der dreiteiligen Tuschezeichnung Affentanz aus der Serie Land of Plenty eine Horde tanzender und musizierender Affen zu sehen, die sich auf einem herzartigen Gebilde dem fröhlichen Rausch ihres Fests hingeben. Die Figuren basieren auf der beliebten Interpretation menschlicher Affektiertheit und Eitelkeit durch musizierende Affenfigurinen aus der Zeit des Rokoko und Manierismus, die von Dekadenz durchdrungen sind.

 

Detail aus Land of Plenty, 2016, Tusche auf Papier

 

 

In den Tuschzeichnungen der Serie Weird Feelings mischen sich Rauschgefühle mit den unbestimmten, seltsamen Gefühlen unseres aktuellen Zeitgeschehens. Das Lovemonster streckt im Liebesrausch verzweifelt die Arme aus auf der Suche nach Liebe, die aber unerwidert bleibt.

 

The Lovemonster, 2024, Tusche und Aquarell auf Papier, 32 x 24 cm

 

Trotz seiner fröhlichen Maskerade im Rausch des Tanzes umgibt das maskierte Pärchen in Come dance with us eine unheimlich Aura.

 

Come dance with us, 2024, Tusche und Aquarell auf Papier, 32 x 24 cm

 

Im Kampfesrausch miteinander verbunden werden in den International Relations die Grenzen neu definiert – die Welt wird zum Schauplatz eines Kampfes aller gegen alle.

 

International Relations, 2024, Tusche und Aquarell auf Papier, 32 x 24 cm

 

Die Amor-Putten in Happy Couple bekommen in ihrem Liebesrausch hingegen nichts mit von der Welt, und auch sämtliche andere Vorhaben scheitern, wenn die Sinne benebelt sind wie in Die betrunkene Revolution. 

 

Happy Couple, 2024, Tusche und Aquarell auf Papier, 32 x 24 cm

 

Die betrunkene Revolution, 2024, Tusche und Aquarell auf Papier, 32 x 24 cm

 

In einer Serie aus Radierungen und Monotypien werden die Weird Feelings fortgesetzt. Sie beleuchten Aspekte meiner Gefühlswelten, die sich am besten mit dem englischen Begriff weird beschreiben lassen. Man kann es mit seltsam, schräg, kurios aber auch unheimlich, gespenstig und grotesk übersetzen – jene Gefühle, die einem auch im unkontrollierbaren Terrain des Rausches überkommen.

 

The Solution, 2023, Kaltnadel, Monotypie, 23,5 X 17,5 cm

 

Dabei finden sich Motive in verschiedenen Techniken wieder, wie zum Bespiel The Solution, die es als Radierung und als Pastellzeichnung gibt. Der Titel entspringt der Annahme, dass sich eine Veränderung des Bewusstseinszustand und ein damit erlangtes Gefühl emphatischer Verbundenheit mit der umgebenden Welt positiv auf das Verhalten auswirken und damit den zwischenmenschlichen Umgang beeinflussen könnte.

 

The Solution, 2023, Pastell auf Papier, 50 x 45,5 cm

 

Die Hochdruckserie Sixteen Visions of Death aus Holz-und Linolschnitten knüpft an die Weird feelings an, wobei das Motiv des berauschten Hyänenreiters, der in Die letzten Tage des Friedens das nahende Ende verkündet, als besonderes Zeitbild heraussticht. Es wird als Sonderedition für den Kunstverein Recklinghausen in einer 20er Auflage erscheinen.

 

Die letzten Tage des Friedens, 2024, Linolschnitt, 28 x 20,4 cm

 

Rauschzustände werden oft bewusst herbeigeführt. Ihnen liegt die Bereitschaft des Menschen zu Grunde, sich auf eine veränderte Wahrnehmung einzulassen. In Kommt, Dämonen! aus der Serie Gasping Society scheint der Protagonist des Bildes bereit zu sein, die Dämonen seines Rausches direkt herauszufordern, während sie in Porträt of the Artist durch die Umnebelung der Sinne im Alkoholrausch vergessen werden sollen.

 

Kommt, Dämonen!, 2016, Kaltnadel und Tusche auf Papier, 52 x 38 cm

 

 

Portrait of the artist, 2022,Tusche und Aquarell auf Papier, 32 x 24 cm

 

In der Entrücktheit vom Normalen und Gewohnten entfaltet der Rausch seine Magie, oft als ein Zustand des Glücks und der Euphorie, der auch zu einer Sucht werden kann, die einen wie der tanzende Dämon in Eureka! nicht mehr verläßt. Der Begriff Eureka stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet Ich habe gefunden! – eben jenes Gefühl, das man mithilfe der Rauschzustände erlangen möchte: ein Gefühl der Erkenntnis und Glückseligkeit.

 

 

Ein zentraler Bestandteil der Ausstellung ist die Monotypieserie Soma.

Mit Soma assoziieren wir jenes Wundermittel, das Aldous Huxley in seinem Roman Schöne Neue Welt beschrieb: In Pillenform verabreicht und staatlich verordnet hatte es einen hohen Suchtfaktor und stimmte die Menschen ruhig und glücklich, wohingegen sie in rasende Aufgebrachtheit gerieten, wenn sie ihr Soma nicht bekamen. Auf diese Weise ließen sich ihre Gefühle und Stimmungen kontrollieren. Man könnte meinen, dass die kürzlich durchgesetzte Legalisierung des Cannabis in Deutschland eine ähnlich beruhigende Wirkung auf die erregten Gemüter haben soll.

Der Name Soma tauchte erstmals in den indischen Veden auf und bedeutet so viel wie ausgepresster Saft oder auch Trank der Götter. Darin wird seine starke berauschende Wirkung beschrieben, die als Aphrodisiakum Glückseligkeit versprach und den Kriegern Kraft und euphorischen Mut schenkte. Bis heute weiss man nicht, um welche Pflanze es sich dabei handelte. Man vermutet, dass es ein Gemisch aus dem Saft des Fliegenpilzes sein könnte. 

 

Lactuca virosa, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

Ähnlich eines Herbariums werden in dieser Serie etliche Pflanzen mit leichter oder starker psychogener Wirkung dargestellt, die für das Soma in Frage kommen könnten. Auch wenn ihre wissenschaftlichen Namen jeweils titelgebend sind geht es über die Darstellung eines Herbariums hinaus. Beim genaueren Hinsehen entdeckt man kleine Details: auf den saftigen Beeren der Tollkirsche Atropa oder der asiatischen Scheinmyrte Anamirta cocculus lassen sich kleine Gesichter ausmachen, die sich nur zeigen, wenn man sich darauf einläßt.

 

Atropa, Detail, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

 

Anamirta cocculus, Detail, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

Die feuerroten Blätter des Feuersalbeis Salvia splendnes, der eine leicht psychoaktive Wirkung hat, scheinen wie kleine Hände nach außen greifen zu wollen, genauso wie die Engelstrompete Brugmansia, die ein beliebter Zierstrauch ist, doch in ihrer berauschenden Wirkung tödlich sein kann.

 

Salvia splendens, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

Brugmansia, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

Unheilvolle Fratzen läßt der hochgiftige Blaue Eisenhut Aconitum napellus in seinen dunklen Blüten erkennen.

Aconitum napellus, Detail, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

Der wohl bekannteste psychogen wirkendende und ebenfalls giftige Fliegenpilz Aminata muscaria lädt rot leuchtend vor dem nächtlichen Hintergrund zum Eintritt ins Rausch-Purgatorium ein und übt dabei jene Faszination des Unheimlichen aus, die auch aus schummrigen, neonleuchtenden Untergrund-Clubs in düsteren Straßen dringt.

 

Aminata, Muscaria, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

Die scheinbar friedliche Darstellung einer schönen Blüte läßt vergessen, dass man aus den Kapseln des Schlafmohns Papaver Somniferum Opium und schlussendlich Heroin herstellen kann, eine Droge, die bei den Künstlern der frühen Avantgarde sehr beliebt war und dann bei den Beatniks und der späteren Punk- Bewegung ihr come back feierte. The Velvet Underground widmete ihr eine eigene Hymne : I don’t know just where I’m going / But I’m gonna try for the kingdom, if I can – Ich weiss nicht, wohin ich gehe / Aber ich werde versuchen, das Königreich zu erobern, wenn ich kann, heißt es in ihrem weltbekannten Song Heroin, der die Wirkung der Droge auf eine Art beschreibt, die das hohe Abhängigkeitspotenzial nachvollziehen läßt.
Ganz verschwunden ist sie trotz ihrer stark süchtig machenden und zuweilen tödlichen Wirkung nie, zu schön ist der Rausch des Eskapismus, das Wegträumen aus einer schmerzhaften Realität, auch wenn man diese Ausflüge mit dem eigenen Leben bezahlen muss, wie in einem Teufelspakt. Am Ende verkörpert der Rausch nur ein Illusion, die nie bestehen bleiben kann.

 

Papaver somniferum, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

Die anmutige und harmlos aussehende Silene Undulata stellt die Afrikanische Traumwurzel dar, die rituell von Schamanen genutzt wird, um mit Hilfe prophetischer Träume Kontakt zu den Ahnen aufzunehmen und Weissagungen zu treffen.

 

Silene Undulata, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

In der Darstellung der Pflanzen liegt der Fokus hauptsächlich auf dem Unheimlichen, Unerklärlichen und Gefährlichen, welches viele dieser Pflanzen mit sich bringen, wenn sie die Pforten unserer Wahrnehmung mit ihren Wirkstoffen öffnen. Doch wie überall gilt besonders hier die Regel: Dosis facit venenum – die Dosis macht das Gift. So wurde das in geringen Mengen tödliche Bilsenkraut Hyoscyamos niger früher als Schlafmittel benutzt und wird auch heute noch in der Homöopathie verwendet. Der Rosenwurz Rhodiola Rosea ist heute überall erhältlich und soll eine gesundheitsfördernd und antidepressive Wirkung haben.

 

Hyoscyamos niger, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

Rhodiola rosea, Soma, 2024, Monotypie und Pastell, Tusche, Pastell auf Bütten, Motiv 39 x 29,5 cm

 

Die Heilwirkungen einiger Pflanzen doch auch ihre psychoaktive Wirkung und die damit verbundenen transzendenten Erfahrungen und Erkenntnisse haben die Menschen seit Jahrtausenden fasziniert und scheinen in der heutigen entkoppelten Welt wieder an Interesse zu gewinnen. In unserer künstlichen und hochkomplexen Lebensrealität scheint die Sehnsucht nach einer Verbindung zu den Ursprüngen und die Frage nach dem Sinn unserer Existenz stärker denn je. Auch Eskapismusbestrebungen nehmen angesichts der bedrohlichen Weltlage zu, so dass es nicht verwundert, dass Ayahuasca Rituale in Berliner Apartments und die gemeinsame Einnahme psychedelischer Pilze in Schweizer Schwitzhütten als Gruppenerfahrung unter der Führung mehr oder weniger erfahrener, selbst ernannter Schamanen angeboten werden und sehr beliebt sind. Die Gefahr einer Psychose, ausgelöst durch die hochpotenten Wirkstoffe und damit einer Verschlimmerung des Seelenzustandes, den man ja zu verbessern suchte, ist groß. Der Grat zwischen Erleuchtung und Wahnsinn ist schmal. Nur wenige Milligramm einer unscheinbaren Pflanze können tödlich sein. Hier zeigt sich die Hybris des modernen Menschen, der in seiner Ignoranz glaubt, alles in Besitz nehmen zu können, aber auch die Idee einer Erkenntnis, die zu einer heilsamen Demut führen könnte: Am Ende sind wir den Wirkmächten der Natur unterlegen.  

 

 

 

 

Ulrike Theusner
RAUSCH
26.Mai – 14. Juli 2024
Eröffnung: Samstag, 25. Mai 2024, 18 Uhr mit einer Einführung von Luisa Schlotterbeck, Neue Galerie Gadbeck
Artist Talk: Sonntag, 14. Juli 2024, 16 Uhr mit Arno Apel, Kunstverein Recklinghausen

 

 

Kunst im Kutscherhaus
Willy-Brandt-Park 5, 45657 Recklinghausen
Öffnungszeiten: Freitag 15 -18 Uhr, Samstag Sonntag und an Feiertagen 13 – 17 Uhr
Telefon: 02361 927615