Munch / Van Gogh Ausstellung in Amsterdam bis 17. Januar 2016

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Amsterdam ist immer eine Reise wert. Nicht nur um ungescholten Drogen zu konsumieren, an den Grachten entlangzufahren (mit dem Fahrrad – wenn man sich traut…) oder um Damen, die sich im Schaufenster prostituieren, zu begutachten, sondern natürlich auch, um ins Museum zu gehen. Im Van Gogh Museum läuft noch bis zum 17. Januar 2016 eine wunderbare Edvard Munch Ausstellung. Seine Arbeiten werden zusammen mit Van Gogh´s Malereien gezeigt. Die Ausstellung versucht, Parallelen aufzuzeigen im Leben und Werk der Künstler, gelten doch beide als Väter der Moderne und Begründer des Expressionismus.

 

links: „Young Man on the Beach“ von Edvard Munch, 1908, rechts: „Young Peasant Woman with Straw Hat“ von Vincent van Gogh, 1890

 

„Which one do you like more?“ Besucher diskutieren vor Van Gogh´s „Starry Night“ und Munchs Version des Gemäldes.

 

Beide Maler sind sich wohl nie persönlich begegnet, auch wenn sie sich etwa zeitgleich in Paris aufhielten, wo der aufblühende Impressionismus entscheidende Impulse gab im Werk beider Künstler. Auf Edvard Munch hatte Van Gogh, der nach seinem frühen Tod 1890 schnell Ruhm erlangte, durchaus eine intensive Wirkung. Er sagt über Vincent Van Gogh: „Während seines kurzen Lebens erlosch Van Gogh´s Flamme nicht. Feuer und Asche war sein Pinsel während der wenigen Jahre seines Lebens, in denen er brannte für die Kunst. (…) So wie er, werde ich zeitlebens meine Flamme nicht erlöschen lassen und mit brennendem Pinsel malen bis zum Ende.“

 

Vincent Van Gogh, „Entrance to the Public Gardens in Arles“, 1888

 

Im Eingangs-Text der Ausstellung heißt es: „Munchs und Van Goghs Arbeiten berichten vom wahren Leben – seine schmerzhaften und flüchtigen Seiten, aber auch seiner erstaunlichen Schönheit: Dem Kreislauf des Lebens und Sterbens, Trost, Liebe, menschliche Sorgen und Ängste. Ihre Kunst sollte die Emotionen menschlicher Existenz ausdrücken, Menschen bewegen und trösten. Sie gingen neue Wege, um diese Gefühle so kraftvoll wie möglich darzustellen – durch Farbe, Komposition und Pinselführung – selbst wenn es bedeutete, bis zum Extremen zu gehen.“

 

Edvard Munch, „Death Room“, 1915

 

„Ich male nicht, was ich sehe – ich male, was ich sah.“ Edvard Munch, „New Snow in the Avenue“, 1906

 

Edvard Munch, „Melancholie“, 1901

 

Bis zur Erschöpfung arbeitend, glühend und leidenschaftlich, eifrig, zuweilen fieberhaft schufen beide Künstler eine unglaublich intensive Malerei die in ihrer Ausdrucksstärke kaum jemanden unberührt läßt.  Die Ausstellung zeigt, welche Macht ein Bild über den Betrachter haben kann, wie sehr eine Malerei unsere tiefsten Gefühlswelten durchdringen kann. Sie macht deutlich, dass Kunst durchaus eine bildende Kraft hat – sie macht uns unserer ureigensten Empfindungen bewusst, da wo alle Worte versagen. Sigmund Freud formulierte : “ Das ist die Funktion der Kunst, uns aufzubauen, wenn wir in Gefahr sind, auseinanderzufallen“. Und wie verloren wären wir ohne sie…

 

„Ich sah all die Menschen hinter ihren Masken – Ich sah durch sie durch und da war Leiden.“ Edvard Munch,, „Angst“, 1896

 

Edvard Munch, „Metabolism“, 1898

 

Ausgestellt wurden auch Briefe und Notizen beider Künstler. Besonders aufmerksam machte mich eine Skizze zum „Schrei“, die in ihren späteren Versionen zu einem der bekanntesten Gemälde der Kunstgeschichte werden sollte. Die ersten Äußerungen dieser Empfindung – eine flüchtige Bleistiftskizze auf Papier, einige Worte und der grob mit ausgequetschter Ölfarbe angedeutete rote Himmel – empfinde ich als ebenso stark, wenn nicht sogar noch unmittelbarer als das berühmte Gemälde „Der Schrei“, von denen man auch eine Version in der Ausstellung sehen kann. Jene Empfindung beschreibt Munch so: “ Ich ging mit zwei Freunden die Straße hinab. Die Sonne ging unter – der Himmel wurde blutrot, und ich empfand einen Hauch von Wehmut. Ich stand still, todmüde – über dem blauschwarzen Fjord und der Stadt lagen Blut und Feuerzungen. Meine Freunde gingen weiter – ich blieb zurück – zitternd vor Angst – ich fühlte den großen Schrei in der Natur … „

 

 

„Ein Raubvogel hat Besitz von mir genommen – er krallt sich in mein Herz. Mit seinem Schnabel hackt er ein Loch in meine Brust und seine Flügelschläge verdunkeln mein Gefühl.“

 

Wer die tiefen Empfindungen und Erkenntnisse dieser besonderen Ausstellung gleich wieder zerstören möchte, kann sich im Museums – Shop dem vielschichtigen Universum des Van Gogh – Merchandize hingeben. Kaum eines seiner Werke bleibt dabei verschont. Man könnte es auch als Entwürdigung seiner Kunst bezeichnen, die nun belanglose Konsumartikel dekoriert und die Leute nicht mit Kunst in Berührung bringt, sondern eher das Gegenteil erzeugt, wenn ich Leute sagen höre: „Van Gogh? Nein! Wie Furchtbar! Furchtbar kitschig! “ Sie differenzieren nicht mehr, kitschig ist nur das Produkt. Der Sämann zum Beispiel fristet sein Dasein hier als klobiger Mutant im Schüttelglas …

…oder Van Gogh´s berühmte “ Kartoffelesser“ finden sich wieder auf einer Kartoffelchips – Packung.

Mir ist zu Ohren gekommen, dass es sogar Leute gibt, die deutlich mehr Zeit im Museumsshop verbringen als im eigentlichen Museum. Im Falle des Van Gogh – Museums lohnt es sich, dieses Verhältnis umzukehren, denn Munch und Van Gogh muss man einfach im Original erleben und erfühlen – nicht die beste Reproduktion der Welt kann dieses direkte Gefühl ersetzen und nur annähernd jene Ergriffenheit erzeugen. Und das ist immer ein Merkmal wirklich guter Kunst.

Abend in Amsterdam – es ist November und die Weihnachtslichter erleuchten schon an den Grachten

 

Nach dem Besuch der Ausstellung bin ich total aufgelöst und emotional aufgewühlt. Ich bin erstaunt, dass ich nach all den Jahren immer noch dasselbe intensive Gefühl verspüre, sobald ich vor einem Munch Gemälde stehe. Als ich Munchs Arbeiten als Teenager zum ersten Mal in Oslo sah, war ich so ergriffen, dass ich auch Maler werden wollte. Oder es war vielmehr die Erfahrung, dass Malerei solche starken Emotionen beim Betrachter auslösen kann, die mir Mut gab, auch Kunst zu machen, denn seitdem empfinde ich Kunst als sehr wichtig, ich empfinde sie sogar als lebenswichtig, und werde immer so denken. All das mag etwas pathetisch klingen, doch ich wünschte mir sehr, mehr Menschen könnten diese Erfahrung machen. Ich bin mir sicher, dass dies einen gewissen Einfluss hätte auf die Gesellschaft und das Leben miteinander…

Gedankenverloren schlendere ich durch die Amsterdamer Nacht und schaue durch die skurril dekorierten Fensterscheiben.  Ein Schaufenster hat es mir besonders angetan: die Gruppe erhangener Shoppingopfer. Vielleicht zeugen die Konsum-Selbstmörder vom besonders subtilen Humor der Niederländer?

 

Diese Kollektion an Kristallgläsern lässt mein Herz höher schlagen. Auf der Straßenseite gegenüber entdecke ich durch die Gitterstäbe der Jaski Art Gallery Jesus als Eisbär, umgeben von einer bizarren Kollektion ausgestopfter Tier-Chimären.

Ich bin wahrscheinlich in der Straße der sonderbaren Galerien und Antikläden gelandet. In fast jeder Stadt gibt es solche Straßen. So eine Mischung liebe ich! Vor allem Antikläden haben es mir angetan.  Das bunte Sammelsorium aus verschiedensten Relikten vergangener Tage und Menschen, so viele Geschichten…

Traditionelle Kunst im Schaufenster: Hunde und Windmühlen…

 

…teure Antiquitäten..

 

…und billige Antiquitäten.

 

„The Happiness Project“ – das unglücklich gehäutete Schwein wirbt für die Körperwelten – Show. Für Menschen mit ausgeprägter nekrophiler Neigung ist das vielleicht ein sehenswertes Erlebnis.

 

Dem Frittenmann ist auch schon schlecht…

 

Ein „Sex-Palace“ im Rotlichtviertel

 

Zu später Stunde wage ich noch mal eine Ausflug ins Rotlichtviertel – es ist bei vielen Herren und Touristen sehr beliebt und immer voller Menschen, die erregt um sich blicken oder sich grölend am Kanal entleeren. In Schaufenstern räkeln sich knapp bekleidete Damen, die schnell böse werden, wenn man sie ganz unverfroren und nur aus offensichtlicher Neugier anstarrt – so wie ich, denn mir ist dieses Bild von Schaufenster-Prostitution fremd. Es ist streng verboten, die Damen im Schaufenster zu fotografieren, und ich möchte mir auf keinen Fall Ärger einhandeln mit den bulligen Aufpassern oder den grimmig dreinschauenden Damen. 

 

Edvard Munch „Hands“, 1893

 

Und zum Abschluss der Nacht muß ich nun noch das obligatorische Touristenfoto vor dem berühmten Rijks – Museum machen. Das möchte ich beim nächsten Mal besuchen …

 

 

Goodnight Amsterdam…

 

…und bis bald!

 

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