56. VENEDIG BIENNALE 2015 – TEIL 3: ARTPEOPLE
STREETPERFORMANCE
Schwitzend schleppt ein karger Typ sein schweres Holz-Kokon durch die Strassen. Stundenlang läuft er vor den Giardini auf und ab, in der Hoffnung, möglichst viele Biennale-Besucher mögen ihn und seine geheimnisvolle Performance wahrnehmen. Kurz darauf begegnet mir ein freundlicher Herr, dessen Kopf in einer Kloschüssel steckt. Engagiert läuft der Supermario-Verschnitt mit einer Klobürste in der Hand durch das Getümmel und verkündet kriegerisch „Now every shit is art“. Er will damit die Verbindung verdeutlichen von „Kunst = Scheiße = Klo = Duchamp = alles-ist-immer-Kunst-und-Kunst-ist-Scheiße-und-jeder-ist-Künstler-vor-allem-ich“.
Die Eröffnungstage der Biennale sind ein geeigneter Ort für enthusiastische Performance-Künstler, denn nirgendwo anders ist die geballte Ladung an hochkarätigem Kunstpublikum auf so kleinem Raum versammelt, und nirgendwo sonst ist die Chance größer, Aufmerksamkeit zu bekommen und vielleicht entdeckt zu werden. So entsteht vor den Giardini alle zwei Jahre eine ganz eigene Kunstschau: Die Street-Perfomance-Biennale.
In einer kleinen Nebengasse unweit der Giardini steht eine Frau und frißt Hundefutter. Dabei schreit sie „I NEED TO PUNISH MYSELF“ oder sowas und würgt das Hundefutter herunter. Sie ist kurz davor, sich zu übergeben. Das ist auch der Reiz an der Performance und deshalb bleiben vereinzelt die entlang flanierenden, Jutebeutel -schleppenden Kunstleute stehen: sie wollen die Dame scheitern sehen. Doch die Frau muss nicht kotzen – sie brüllt und würgt weiter und das Spektakel wird den blauhosigen Edelbesuchern bald zu eintönig. Mit einer Mischung aus Enttäuschung und Ekel wenden sie sich wieder den wichtigen Dingen zu, zum Beispiel Tintenfischrisotto und frittierten Garnelen.
Mehr Aufmerksamkeit bekommt die Frau in neongelber Burka. Sie steht bei Dreißig Grad vor den Giardini und ist leichter zu enträtseln. Ihr Protest gilt wohl der Unterdrückung der Frau im Islam. Alles was mit Islam zu tun hat, ist ein heißes Thema und findet Beachtung. Zumindest wird sie wird öfter fotografiert als Kloschüssel-Mario und Hundefutter-Frau zusammen.
Weniger verständlich ist für mich der Mann, der sich sehr langsam am Boden rollt und dabei versucht, die Pflastersteine nicht herunterfallen zu lassen, die auf seinem Hals drapiert sind. Ebenso ratlos läßt mich eine weißgekleidete Frau. Extrem langsam geht sie auf dem Rasen rückwärts – vielleicht visualisiert sie Enwezors Forderung nach „Entschleunigung“. Gar nicht verstanden habe ich die Frau im roten Historienkleid: sie trägt zwei Plastebabies im Arm und steckt sie wenig später in einen Putzeimer – was will sie uns damit nur sagen?
Ob die Dame vor dem Colastand in ihrem barocken Kostüm auch eine Performance macht…
…oder jener Herr, der sich zwischen den Tauben am Boden rollt…
…und was diese Dame wohl zu bedeuten hat…
…bleibt offen. Vielleicht hat Kloschüssel-Mario doch recht : „Now, every shit is art.“
Die Venezianer zumindest zeigen sich recht unbeeindruckt von all dem Kunst-Trubel.
ARTPEOPLE
Und auch einige Biennale-Besucher gönnen sich manchmal eine Pause zwischen dem hektischen Programm, in dem eine Eröffnung die nächste jagt,
während genervte Kuratorinnen schwitzend in der Sonne telefonieren…
...Geschäfte betrieben werden…
…sich extrovertierte…
…und introvertierte Besucher begegnen…
…und getuschelt wird, welche Party wohl die lohnenswerteste ist am Abend.
In der Arsenale wird düstere Kunst dokumentiert,
und vor der Arsenale sammelt sich der Kunst-Flyer-Müll.
Wenn es Abend wird, geht es zu den Parties – egal welche, Hauptsache man kommt hinein…
..und man findet sie auch in Venedig´s verwirrendem Labyrinth enger Gassen…
..die geheimen Gärten und versteckten Palazzetti, die der Öffentlichkeit sonst verborgen bleiben.
Am besten sind Dinnerparties…
…in einem mysteriösen Palazzo.
Ist schließlich der Champagner aufgebraucht…
..zieht die Kunstmeute weiter zur nächsten Party.
..in einen anderen Palazzo oder direkt ins Hotel Bauer. Dort trifft sich alle zwei Jahre der Kunst-Jetset und es ist nicht immer einfach, sich zur begehrten Hotel-Terrasse am Canale Grande durchzukämpfen. Meistens versperren einem die unerbittlichen Türsteher den Weg und man muss entweder auf der Liste stehen oder eine „Very Important Person“ kennen, die einen hereinholt. Hin und wieder klappt der Angriff von hinten (direkt aus dem Boot auf die Terrasse springen) doch wenn man Pech hat, erwischen einen die bulligen Security-Riesen und befördern den Eindringling direkt zurück in den Canale. So drängen sich Jahr für Jahr unzählige Menschen vor den Türen des Hotel Bauer, und niemand weiß so recht, warum nun ausgerechnet alle dorthin wollen und was man sich davon verspricht außer extrem überteuerter Gin Tonics und einer Horde betrunkener Kunstjunkies.
Wer keine Einladung hat zu den zahlreichen VIP-Events, Dinner- und Cocktailparties muss sich was einfallen lassen.
„Die Stadt ist so ein Party Ort, die Biennale ist nur eine Entschuldigung für alle möglichen anderen Dinge.“
Okwui Enwezor über Venedig in der Mai-Ausgabe des Monopol-Magazins.
In zwei Jahren geht es wieder von vorne los: dieselben Leute, dieselben Parties, aber nicht dieselbe Kunst. Bleibt zu hoffen, dass die Venedig-Biennale wieder einen so kritischen und engagierten Kurator bekommt, dem politisches Engagement am Herzen liegt und der mehr sieht in der Kunst als ein hübsches Beiwerk ohne Aussage, das sich verkaufen lassen kann – jemandem, dem es um Inhalte geht, um Ideen und Unabhängigkeit und nicht um die Möglichkeit, sich selber zu profilieren und vollends zur Marionette des Kunstmarktes zu werden.
Interview mit Okwui Enwezor in der Frankfurter Rundschau “Ich stelle Ideen aus, nicht Waren.”
Offizielle Biennale Seite www.labiennale.org
56. Venedig Biennale 2015
in Kürze folgt der letzte Teil: Die Stadt
Fotos: © Ulrike Theusner