56. VENEDIG BIENNALE 2015 – TEIL 2: ARSENALE

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Bruce Nauman, „Eat/Death“

ARSENALE

Betritt man die Ausstellungsräume der Arsenale, leuchtet einem zunächst in kühlem Neonblau das Wort „DEATH“ entgegen. Kurz darauf findet man sich in Katharina Grosse´s bunter Apokalypse wieder. William Kentridge lässt den Tod auf einem Pferd reiten und Oscar Murillo untersucht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kinderzeichnungen aus verschiedenen Kontinenten (Afrika, Westeuropa, Südamerika). Trotz des unterschiedlich sozial geprägten Umfelds lassen sich in den Zeichnungen immer wieder archetypische Parallelen erkennen. Wer möchte, kann seinen Teil zur Ausstellung beitragen und sich als Pianist an einem Flügel versuchen, der für die Besucher bereit steht. Überall erklingt Musik, die Videoarbeiten überlappen sich, die ganze Ausstellung ist lebendig und unruhig, hier muss man sich tatsächlich fokussieren. „Der fragmentierte Blick, die Unmöglichkeit, es alles zu erfassen, bedeutet, dass wir unserer Intuition folgen müssen.“ erklärt Enwezor in der Frankfurter Rundschau. „Wir leben in einer Welt, und dazu zähle ich die Kunstwelt als ihr Abbild, in der wir die uns zumutbare Erkenntnis stets hübsch und konsumierbar verpackt vorgesetzt bekommen. (…) Mundgerecht wird uns das Design, das Kunst zu sein behauptet, zum Konsum gereicht. Der Imperativ meiner Biennale war, diese Perversion des Kunstmarkts zu stellen, den Betrachter zur Verantwortung zu ziehen.“

 

Die bunte Apokalypse von Katharina Grosse

 

William Kentridge

 

Oscar Murillo, „Frequencies“

 

Immer wieder thematisieren Künstler den Preis, den wir für die Globalisierung zahlen müssen:  unfaire Arbeitsbedingungen, Klimawandel, eine zunehmende Vereinzelung und Vereinsamung. Ist das die Zukunft, die wir haben woll(t)en?
Chris Marker entstellt das stereotype Schönheitsideal und zeigt in seiner Serie „Passengers“ Frauen in der U-Bahn auf dem Weg von oder zur Arbeit. Sie sind erschöpft vom Leben, schlafend, träumend oder leer vor sich hinstarrend.

 

Chris Marker verzerrt perfekte Werbegesichter zu hasenschartigen Fratzen.

 

Chris Marker, „Passengers“

 

Der südkoreanische Künstler Im Heung-soon beschreibt in seinem Film „Factory Komplex“ u.a. das Leben junger Arbeiterinnen in einer Callfirma. Die „Callgirls“ sind die Fabrikarbeiterinnen von heute, die unter ständiger Beobachtung stehen und wie Maschinen perfekte Ergebnisse liefern müssen, um ihren Job zu behalten. Die Menschen sind austauschbar, sie müssen funktionieren. Geht der eine, kommt schon ein anderer. In der Installation „The Portrait of Sakip Sabanci“ von Kutluğ Ataman werden tausende Passbilder auf kleinen Mini-Sensoren gezeigt, die nacheinander in andere Passbilder überblenden. Auf Passbildern sehen sich alle Menschen ähnlich, sie haben immer den selben neutral-lächelnden Gesichtsausdruck, fast wie Roboter. Die an der Decke hängenden Sensoren bilden eine seltsame elektronische Skulptur, die uns die Austauschbarkeit des Individuums bewusst macht.

Im Heung-soon , Filmstill aus „Factory Complex“

 

Kutluğ Ataman, „The Portrait of Sakip Sabanci“

 

Auf einem schmalen Weg kann man die Installation des taiwanischen Künstlers Vincent J.F. Huang im Tuvalu-Pavillon durchschreiten. Die drei türkisblauen Schwimmbecken scheinen den Raum zu fluten. Nur ein Schritt könnte das Wasser zum Überlaufen bringen. Er reflektiert die Folgen der globalen Erwärmung, den stetig steigenden Meeresspiegel, der dieser kleinen Inselgruppe im pazifischen Ozean den Lebensraum raubt.

 

„Crossing the Tide“ – Vincent J.F. Huang´s Installation im Tuvalu Pavillon

 

Sean Lynch´s appetitlich glänzender Fruchtberg im Irischen Pavillon lässt das Paradies erahnen, ist aber nur aus Plaste. Im China-Pavillon erwachen mythologische Gespenster, deren Gehirne aus unheilvoll dreinblickenden Schädeln dringen. Um Grenzen und deren Überwindung geht es in Flaks Haliti´s Installation „Spekulation on blue“ im Kosovo Pavillon.

Sean Lynch, „Adventure: Capital“

 

China Pavillon – Gespenst des Kapitalismus?

 

Flaka Haliti, „Specualtion on blue“ im Kosovo Pavillon, kuratiert von Nicolas Schaffhausen

 

Die Welt steht Kopf – und es ist nur folgerichtig, dass uns Georg Baselitz´ überdimensionale, hysterisch zermanschte Figuren am Ende der „Making Worlds“ Ausstellung begegnen.

Georg Baselitz, Untitled

 

EVENTI COLLATERALI – ANDERE AUSSTELLUNGEN

 

Peter Doig im Palazetto Tito

 

Neue Arbeiten von Peter Doig sind im Palazetto Tito bis zum 13. September zu sehen.
Absolut empfehlenswert ist die umfangreiche Ausstellung „Nueva Oggitivita“ im Museo Correr am Piazza San Marco. Noch bis 30. August findet man hier Werke der wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit und kann eine bedrückende Parallele zwischen der Zeit der Weimarer Republik und unserer Gegenwart feststellen.

George Grosz im Museo Correr

 

Gezeigt werden unter anderem Arbeiten von Otto Dix, George Grosz, Christian Schad und Rudolf Schlichter –  die Künstler fanden ihre eigene reale, oft bissige Sprache ohne dabei in Zynismus zu fallen. Zu sehen sind im Museo Correr auch die „War Paintings“ von Jenny Holzer, die mir trotz ihrer düsteren Aussage zu dekorativ erschienen.

Nur einen Katzensprung vom Museo Correr entfernt feiert man im Dogenpalast den Triumph der Naiven Malerei mit einer großen Rosseau Ausstellung  – ebenfalls sehr sehenswert, allerdings muss man sich beeilen. Die Ausstellung endet am 5. Juli.

Unter den zahlreichen hochkarätigen „Eventi collaterali“ findet man hin und wieder auch eine schlechte Ausstellung:  „Personal Structures – Crossing Borders“ im Palazzo Bembo ist so furchtbar, dass sie fast schon wieder sehenswert ist. Die Silikon-Meerjungfrau auf dem Hartplaste-Sockel hängt lasziv kopfüber. „Please do not touch“.  „Please do not look!“ wäre ein hilfreicher Hinweis gewesen. Derselbe Künstler zeigt auch eine sakral eingerahmte Silikon-Vagina, auf die ich hier aber aus ästhetischen Gründen verzichten möchte. Immerhin hat er das schlechteste Kunstwerk der Biennale geschaffen, das muss man auch erstmal draufhaben!

Arnix Wilnoudt, „The Tragedy of Lucretia“

 

Der Blick aus dem Fenster lohnt sich dafür allemal.

Blick auf den Canale Grande

 

Interessant ist auch ein Besuch der Ausstellung „Learn from Masters“ in der ersten Etage des Palazzo Bembo, in der verschiedene Techniken asiatischer Tuschemalerei vorgestellt werden. Nicht entgehen lassen solltet ihr euch außerdem die Ausstellung „Proportio“. Allein der Besuch des wunderschönen Palazzo Fortuny lohnt sich schon.

Mariaa Wirkkala, „Depending on“

 

Links:

„Factory Complex“ von Im Heung-soon Trailer 
Filmausschnitt aus „Factory Complex“ von Im Heung-soon hier.
„Peter Doig“ im Palazetto Tito www.bevilacqualamasa.it
„Neue Sachlichkeit“ im Museo Correr www.nuovaoggettivitacorrer.it
„Henry Rosseau“ im Dogenpalast palazzoducale.visitmuve.it
„Proportio“ Ausstellung im Palazzo Fortuny fortuny.visitmuve.it
Palazzo Bembo www.palazzobembo.org

Interview mit Okwui Enwezor in der Frankfurter Rundschau “Ich stelle Ideen aus, nicht Waren.”
Offizielle Biennale Seite www.labiennale.org
Eventi Collaterali www.labiennale.org

 

56. Venedig Biennale 2015

in Kürze folgt Teil 3: Artpeople

Fotos: © Ulrike Theusner