Rückblick 2023 Mahagonny Ausstellungsrundgang
Im September letzten Jahres eröffnete zum Herbstrundgang der Spinnerei Galerien Leipzig meine Einzelausstellung Mahagonny in der Galerie Eigen+Art.
Thematisch kreisen die Arbeiten, die hier als wandfüllende Accrochage in der Leipziger Galerie zu sehen sind, um die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, die 1930 in Leipzig ihre Uraufführung feierte. Bertolt Brecht schrieb das Libretto, zunächst als Songspiel, dann als Oper, zu der Kurt Weill die Musik komponierte.
Aus dem ersten Akt stammt der bekannte Alabama Song, der u.a. von The Doors interpretiert wurde. Angeregt durch die Texte und die Musik, die mich viele Jahre begleiteten, entstanden Monotypien, Pastellzeichnungen und kleine Installationen.
Die Accrochage
Wie auch die Oper aus drei Akten besteht, so sind die Arbeiten an der Wand ebenfalls in drei Teile geteilt.
Im ersten Teil beschreiben Stadtansichten und Portraits das Leben in den Städten, inspiriert von meinen Aufenthalten in Amerika, vor allem in New York.
Die Figuren der fiktiven Stadt Mahagonny bilden den Mittelteil: Gauner, Trinker, Falschspieler, leichte Mädchen, düstere und ratlose Gestalten. Im Zentrum befindet sich eine beinah lebensgroße Zeichnung von Taylor, der den Betrachter anblickt, oder viel mehr durch ihn hindurch blickt. Er kann als das Bindeglied zwischen der fiktiven und realen Welt gesehen werden, ein Mahagonny, dass sich also auch im Hier und Jetzt verorten läßt.
Die Arbeiten im dritten Teil thematisieren die Flucht in den Rausch und die Sehnsucht nach einem Rückzug in die Natur und einer rituellen Behausung, die dem Menschen über Jahrtausende zu eigen war. Es stellt sich die Frage, ob wir überhaupt in der Lage sind, das perfekte Lebensumfeld, unser eigenes Utopia, zu erschaffen in einem System voller innerer und äußerer Abhängigkeiten. Es stellt sich auch die Frage nach unseren Werten, die all unsere Handlungen bestimmen. Die Accrochage endet mit der kleinen Monotypie The Nothing. Darauf sind zwei Menschen zu sehen, die ins unbestimmte Nirgendwo spazieren.
In Mahagonny dreht sich alles um die Jagd nach Genuss und Geld. Die kleinen Installationen sollen als ein Skizzenbuch verstanden werden, eine Ansammlung von Objekten, die eine gewisse Stimmung transportieren.
Spielkarten und Flaschenetiketten, die aus Monotypien gefertigt sind, Austernschalen, ein weisses Pulver, obskure Pillen, psychogene Pilze und Schalen aus Keramik, die mit kleinen dämonenhaften Figuren bemalt sind. Objekte, denen der Fetischcharakter des Vergangenen anhaftet: eine alte Kassette mit den New York Dolls, eine Zigarette aus Mexiko, eine Seifendose aus dem Chelsea Hotel.
Übereinander geschichtete und mit Tusche bemalte Platten ergeben ein Bild des Chaos und der sich überlappenden Bilder und Informationen. So könnte es also zugehen in der Wüstenstadt Mahagonny.
Die Handlung
Wie sind noch drin, wir haben nichts genossen.
Wir vergehen rasch, und langsam vergehen sie auch.
… heisst es in der Ballade von den Städten.
Um den grauen Städten zu entfliehen, ziehen die Menschen in die Wüstenstadt Mahagonny in der alles erlaubt ist, ausser: kein Geld zu haben.
Der Whiskey fließt, es wird geboxt, Völlerei herrscht, Dekadenz an jeder Ecke, man frißt sich buchstäblich zu Tode:
Erstens Saufen, das steht im Kontrakt
zweitens vergesst nicht, kommt das Fressen
drittens schreib auf, der Liebesakt
viertens das Boxen nicht vergessen.
Die Mädchen präsentieren sich den anreisenden Herren, welche ihnen zurufen:
Kommt raus ihr Schönen von Mahagonny,
wir haben Geld und was habt ihr?
Auf der Suche nach einem besseren Leben zieht es auch die Hauptfigur Jimmy Mahoney nach Mahagonny, dem es im Land des Überflusses schnell langweilig wird.
Man kann doch auch seinen Hut aufessen,
wenn man sonst nichts zu tun hat.
… klagt er in einer Ballade über den Sinn des Menschseins, versäuft sein Geld und versucht, wieder nach Alaska zu fliehen.
Von einem Hurrikan bedroht befürchten die Bewohner ein jähes Ende ihrer hedonistischen Welt. Doch schnell stellt man fest:
Wir brauchen keinen Hurrikan,
wir brauchen keinen Taifun,
denn was er an bösem tun kann,
das können wir selber tun.
Und tatsächlich bleibt die Stadt von der Zerstörung des Hurrikans verschont, sie zerstört sich selber, da alle menschlichen Werte dem Diktat des Geldes unterliegen.
Jimmys Flucht scheitert und er landet wieder in Mahagonny. Als die er schließlich seinen Whiskey nicht bezahlen kann, wird er dafür zum Tode verurteilt. Seine Freunde und selbst seine Geliebte Jenny verweigern ihm ihre Unterstützung:
Jimmy, du stehst mir menschlich nah,
doch Geld ist eine andere Sache.
In einer Passions-gleichen Schlussszene wird Jimmy hingerichtet. Ein Chor wiederholt alle eindringlichen musikalischen Hauptthemen, die sich in ihrer Mischung aus Klassik, Chanson und Kabarett ohrwurmgleich im Gehirn der Zuhörer verankern:
Denn wie man sich bettet, so liegt man,
es denkt einen keiner da zu.
Und wenn einer tritt dann bin ich es,
und wird einer getreten dann bist du´s.
Hier könnt den Song anhören: Lotte Lenya in Wie man sich bettet by Kurt Weill recording 1930 (YouTube Link)
Die ganze Oper mit Lotte Lenya als Jenny könnt ihr hier anhören: Kurt Weill – Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (YouTube Link). Schon in den ersten Takten erregt die vorwärtstreibende, hysterische Musik das Gemüt und wird zu einem zeitlosen Dokument unserer heutigen Gereiztheit. Sie läßt die Vision einer einer wilden, ungelenken Parade entstehen, die ins Chaos schreitet, angeführt von fadenscheinigen Idealen, die knallharte Interessen übertünchen sollen. Alles wird zum Kampf – und alles wird zum Kampfbegriff. Kaum ausgesprochen ist der Streit schon entfacht.
Die eindringliche Musik von Kurt Weill hat meine Arbeit im Atelier beeinflusst und ihre Energie findet sich in den Zeichnungen wieder. Auch wenn die Oper Mahagonny vor einhundert Jahre geschrieben wurde, gibt es etliche Parallelen zur heutigen Zeit. Sie wird auch in Zukunft nicht an Aktualität verlieren, da sie grundlegende Probleme unserer modernen Zivilisation thematisiert. Adorno beschreibt es treffend, wenn er von der Verdinglichung der zwischenmenschlichen Beziehungen spricht.
Die Oberflächengestalt des bürgerlichen Lebens wird verzerrt zur Grimasse einer Wirklichkeit, die Ideologien sonst verdecken. (…) Die Darstellung des Kapitalismus ist genauer die seines Untergangs an der Dialektik der Anarchie, die ihm innewohnt.*
Zwar wurde der Raubtier-Kapitalismus der 20er Jahre inzwischen abgelöst durch die soziale Marktwirtschaft, doch die Dominanz des Monetären ist ein kaum zu übersehener Faktor, der unsere menschlichen Werte bestimmt. In meiner Mahagonny Serie geht es um das Resultat dieses Verfalls, der in Isolation, Verunsicherung, Verrohung und Leere mündet. Es geht auch um die Doppelmoral, Leichtgläubigkeit und den Verlust eigener Urteilsfähigkeit mit der ein solches System am Leben erhalten wird – ein Thema, das auch in der Serie Weird Feelings II (2022) bearbeitet wird.
Desillusion in der Liebe, die Sehnsucht nach einem Ort, an dem die maximale Freiheit herrscht, das Scheitern zwischenmenschlicher Beziehungen aufgrund wirtschaftlicher Verhältnisse, das alles sind auch Themen unserer Zeit.
In Mahagonny gibt es keine Erlösung, auch wenn Gott in die Stadt kommt.
Und eines grauen Vormittags,
mitten im Whiskey
kam Gott nach Mahagonny.
Uns bleibt die Frage, wie wir voranschreiten wollen, welchen Weg wir einschlagen und inwieweit wir in der Lage sind, ihn selbst zu gestalten. Oder sind wir immer das Produkt unserer Umstände?
LINKS
- Einen Eindruck zur Ausstellung könnt ihr im Video gewinnen, das wir vor der Eröffnung mit Astrid Hamm und Matthias Maercks ( Tableau Film) aufzeichneten: Ulrike Theusner – Mahagonny // Galerie EIGEN + ART Leipzig // September 2 – October 21, 2023
- Mahagonny Pastellzeichnungen
- Mahagonny Monotypien
- Ausstellungstext von Ulf Küster: Ulrike Theusner – Mahagonny
- LVZ Artikel vom 01.09.23: Vor dem Spinnerei-Rundgang – erste Blicke in die neuen Ausstellungen
- Wer ein paar Songs aus der Oper Mahagonny hören möchte, dem empfehle ich diese historische Aufnahme mit Lotte Lenya: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (Querschnitt) / Lotte Lenya mit großem Ensemble
- Wer mehr über die Galerie Eigen+Art und ihren Gründer Judy Lybke erfahren will, dem empfehle ich dieses sehr unterhaltsame Interview im Deutschlandfunk vom 19.11. 2023: Galerist Gerd Harry Lybke: „Das Ziel meiner Arbeit ist Unsterblichkeit“
QUELLEN
*aus: Brecht/Weill, Mahagonny, Materialien, Adorno über Mahagonny, Suhrkamp Verlag, 2006, S. 356
Alle weiteren Textzitate stammen aus dem Libretto Bertolt Brecht, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, Oper in drei Akten, Urfassung, Brecht/ Weill, Mahagonny, Suhrkamp Verlag, 2006, S. 41-97