Im Hamburger Bahnhof in Berlin läuft noch bis zum 6. November eine sehr sehenswerte Ausstellung unter dem Titel „Das Kapital – Schuld, Territorium, Utopie“. Jene drei Begriffe untergliedern den Annäherungsversuch an ein komplexes Thema – und genauso komplex ist auch die Ausstellung kuratiert. Quer durch alle Epochen der Kunst und Philosophie wird das „Wesen des Wertvollen“ durchleuchtet – als Objekt, Idee, gesellschaftspolitische Theorie.
Peter Buggenhout „The Blind Leading The Blind“, 2015 (Courtesy Galerie Konrad Fischer)
Die wilde Gegenüberstellungen der Exponate – kunsthistorische Schätze, Malereien, Videoarbeiten, Installationen und Bücher – mag auf den ersten Blick verwirrend wirken, und vielleicht hätte eine tiefer gehende Fokussierung auf weniger Sujets besser getan als der schnelle, oberflächlich wirkende Anriss von Themen, die ihrerseits auch wieder ganze Ausstellungshallen füllen könnten: Griechische Mythologie, Tod, die Entdeckung Amerikas, deutsche Geschichte, 1. Weltkrieg, Mauerfall, Exotik, Religion, die Nicht-Orte, das Totalitäre, Popkultur, die Schuldfrage, Gesellschaftspolitische Utopien, die Idee des Besitzens…
Eine Besucherin fotografiert Rosemarie Trockel´s Skulptur „Gewohnheitstier 3“ (1990)
Die Spanne der ausgetellten Werke reicht von einem Geldstein der Yap-Inseln über mittelalterliche Schätze, altgriechische Repliken, Joseph Beuys, ausgestopfte Tiere und Mickey Mouse Hefte bis zur Jeff Koon´s Staubsauger-Skulptur, von Pasolini´s Bergpredigt aus „Il vangolo secondo Matteo“ über Hans Jürgen Syderberg sieben stündigen Film „Hitler. Ein Film aus Deutschland“ (1977) bis zu einem Werbevideo von Goldman Sachs (2013). Bob Dylan zelebriert amerikanischen Patriotismus und trifft auf Rihanna´s blutrünstigen Song „Bitch Better Have My Money“. Und irgendwo sinniert die Replik der Denkers von August Rodin über Heidegger´s Gespräch mit dem Mönch Bhikku Maha Mani.
Szene aus „Il vangolo secondo Matteo“ von Pier Paolo Pasolini (1964)
Vielleicht waren die Kuratoren Eugen Blume und Catherine Nichols etwas überambitioniert – vielleicht ist die Zusammenstellung auch brilliant…Ich bin etwas überfordert und recherchiere jedes Werk im umfangreichen Begleitheft, das man glücklicherweise am Eingang bekommt.
Sicher wäre es interessant gewesen, den Begriffs Kapital als rein politisches Konstrukt und dessen Folgen auf unser Zusammenleben zu untersuchen und die unweigerliche Frage danach zu stellen, was – und ob- uns Menschen vom Tier unterscheidet… Es ist in jedem Fall eine Ausstellung, die den Betrachter fordert, die zum Nachdenken zwingt – auch dank der klug ausgewählten Zitate an den Wänden, die im Wirwarr der Exponate oft einen Überblick verschaffen. Die Betrachter werden viele neue Ideen und Denkanregungen mit nach Hause nehmen. Auch wenn die Ausstellung für meinen Geschmack etwas zu viel wollte, ein Besuch, am besten ein sehr langer, lohnt sich auf jeden Fall.
Die Ausstellung kreist um die Installtion „“Das Kapital Raum 1970 – 1977“ von Joseph Beuys, der den Begriff „Kapital = Kunst“ prägte und, auf der Suche nach einer lebbaren Alternative, an das schöpferische Potenzial eines jeden Menschen glaubte.
Adam und Eva. Das erste Thema der Ausstellung – Schuld – wird mit der Darstellung der Erbsünde eingeleitet: hier eine Kopie nach dem Genter Altar (um 1432)
Der Geldstein aus Aragonit diente auf den Yap-Inseln (Mikronesien) als Zahlungsmittel.
Armreliquiar aus dem Welfenschatz, Niedersachsen 14.Jhd.
Relikte der Neuzeit: Jeff Koons Staubsauger- Skulptur „New Shop-vac Wet/dry“ (1980) habe etwas „Totemartiges, wie Hightech-Menhire oder Tempelwächter“ meint der new Yorker Kunstkritiker Jerry Saltz.
Andy Wahrhol „Advertisement“ (1960)
Videostill aus der Chrysler-Werbung mit Bob Dylan (2014). Der Literatur-Nobelpreisträger und einsitge Ikone des politischen Aufbruchs hat keinen Grund mehr zu rebellieren. Er wirbt als überzeugter Patriot für „Amercan Pride“ – „We will build your car.“
Charlie Chaplin´s Film „A Dog´s Life“ (1918) war sein erster kommerzieller Erfolg. Straßenköter Scraps und Vagabund Charlie Chaplin kämpfen im urbanen Amerika ums Überleben.
Walt Diseney´s „Oncle Scrooge“ (Carl Barks, 1952) karikiert den Prototypen des knausrigen Milliadärs, der im Geld badet und ständig Angst um sein Vermögen hat.
Andreas Gursky „Singapore Stock Exchange I“ (1997)
Eine der führenden Investmentbanken der Welt wirbt mit fröhlicher Musik für neue Mitarbeiter, als wären sie ein freundliches Unternehmen, das nur Gutes schafft und verantwortungsvoll handelt – für die Mitarbeiter und die Welt: „The product that we turn out is good advice.“ Sie waren massgebliche Akteure an der Finanzkrise 2007 und rissen, getrieben von reiner Gier, mit ihren Marktmanipulationen viele Länder in eine wirtschaftliche Notlage – „ein großer Vampirtintenfisch, der sich über das Antlitz der Menschen gestülpt hat“ (Matt Taibbi, Rolling Stone Magazine 2010)
Der deformierte Mensch: Berlinde de Bruyckere´s Skulptur „Robin V“ (2007)
Leicht schaurig wirkt auch die Schaufensterpuppe aus den 20er Jahren. „Wenn man darüber nachdenkt, sind Warenhäuser irgendwie wie Museen“ (Andy Warhol). Und Schaufensterpuppen sind Skulpturen, die das Menschenbild widerspiegeln.
Torso der Athena, Modell nach dem attischen Original (Athen, 440 v. Chr.)
Kopf einer Yakshi , weibliche Gottheit und Hüterin der Erde (Indien, 1.Jhd.)
Goya „Asta su abuelo“ Capricho 39 (1798) – ein adlieger Esel studiert stolz seine Abstammung – „bis auf seinen Großvater zurück“.
Eine Grafik von Theodor de Bry „Schiffe vor der Küste Amerikas“ (1562) leitet das zweite Thema ein: „Territorium“
Lothar Baumgarten dokumentiert in seinem Foto-Essay „Carbon“ (1991) die industriellen Pionierleistungen bei der Besiedelung des Westens und läßt die Spuren der modernen Zivielisation wir Relikte einer ausgestorenen Art wirken.
Larry Clark „Tulsa“ (1968)
Sodaten im 1. Weltkrieg 1917
Jeff Wall „The Crooked Path“ (1991)
Stan Douglas „Zwei Lauben und Hochspannungsmast, Uns genügt´s!“ (1994)
Thomas Struth, Louvre 3, Paris (1989)
Ludwig Biller I: Tafelaufsatz „Globus terrestris“ – Atlas, die Weltkugel mit gekröntem, preußischen Adler tragend (1701)
Yinka Shonibare „Leisure Lady“ (2001)
Haussegen, Deutschland, 1900-1920
Puppenhaus, 1930er Jahre. Im kleinen wird das häusliche Leben nahgebildet und zeigt Klassenzugehörigkeit und gesellschaftliche Sitten auf.
Ralph Eugene Meatyard „The Family Album of Lucybelle Crater“ (1974)
Immanuel Kant „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf“ (1795) ist im letzten Drittel der Ausstellung zu sehen zum Thema „Utopie“
Auguste Rodin „Der Denker“ (1883) Abguss nach dem Original
Festausgabe der Zeitschrift „Der Kampf: Karl Marx zum 50. Todestage“ (1933)
Die Guy Fawkes Maske, bekannt aus dem Comic „V for Vendetta“ (David Lloyd 1982) und der Occupy Bewegung ist zur Ikone des antikapitalistischen Protests geworden
No-Maske, Japan (17.Jhd) Im Begleitheft heißt es: „Den Masken wird die Fähigkeit zugeschrieben, die Personen, die sie repräsentieren, wahrer als die Wirklichkeit erscheinen zu lassen.“
Gerhard Richter´s Seestück, Heiddegger im Gespräch mit Bhikku Maha Mani und Marcel Broodthaers „Paniers avec ouefs“ – der Betrachter kann hier frei assozieren.
Bruce Nauman: Pay Attention (1973)
..oder einfach faulenzen! Paul Lafargue „Le droit a la paresse“ (1883) – Das Recht auf Faulheit ist ein Plädyer für den Drei-Stunden-Tag, denn nur Faulheit und Freiheit könne die menschliche Kreativität fördern und damit auch den Fortschritt vorantreiben.
Rihanna – „Bitch better have my Money“ 2015 (Music Video) Der Sturm auf Versailles in amerikanischer Fassung: Im Video rächt sich Rihanna mit ihren zugedröhnten Freundinnen an einem wohlhabenden weißen Paar, das von der ungerechten Verteilung der Reichtümer profitiert, indem sie die reiche Frau entführt, foltert und ermordet. Ihre unkonstruktive Kapitalismuskritik (falls es eine sein sollte) verliert sich in blutrünstiger Psychose.